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Urteil Versicherungsgericht (SG)

Zusammenfassung des Urteils IV 2011/262: Versicherungsgericht

Die Beschwerdeführerin hat sich aufgrund gesundheitlicher Probleme für den Bezug von IV-Leistungen angemeldet. Es wurde eine Fraktur und eine Sehnenruptur diagnostiziert, die zu einer Arbeitsunfähigkeit führten. Nach verschiedenen medizinischen Gutachten wurde eine mittelgradige depressive Episode festgestellt, die zu einer Arbeitsfähigkeit von 60% führte. Die IV-Stelle wies das Rentenbegehren ab, was zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung führte. Das Gericht entschied, dass die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine Viertelsrente hat und wies die Sache zur weiteren Abklärung an die IV-Stelle zurück. Es wurden Kosten in Höhe von CHF 600.- festgelegt, die der Beschwerdegegnerin auferlegt wurden. Die Beschwerdeführerin erhält eine Parteientschädigung von CHF 3'500.-.

Urteilsdetails des Kantongerichts IV 2011/262

Kanton:SG
Fallnummer:IV 2011/262
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:IV - Invalidenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid IV 2011/262 vom 11.12.2013 (SG)
Datum:11.12.2013
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 16 ATSG. Invaliditätsbemessung mittels Einkommensvergleich (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 11. Dezember 2013, IV 2011/262) Bestätigt durch Urteil des Bundesgericht 8C_56/2014.
Schlagwörter : Arbeit; IV-act; Arbeitsfähigkeit; Rente; Arbeitsunfähigkeit; Schmerzstörung; Belastung; Depression; IV-Stelle; Klinik; Arbeitsfähigkeitsschätzung; Recht; Ehemann; Untersuchung; Gesundheitszustand; Episode; Abklärung; Erwerb; Diagnose; Invalidität; Störung; Erwerbs; Invaliditätsgrad; Beurteilung; Einschränkung
Rechtsnorm:Art. 16 ATSG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts IV 2011/262

Präsident Joachim Huber, Versicherungsrichterinnen Christiane Gallati Schneider und Marie Löhrer; Gerichtsschreiberin Della Batliner

Entscheid vom 11. Dezember 2013 in Sachen

A. ,

Beschwerdeführerin,

vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Markus Heer, Degersheimerstrasse 6, Postfach 354, 9230 Flawil,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,

Beschwerdegegnerin, betreffend

Rente

Sachverhalt:

A. A. meldete sich am 12. Februar 2003 erstmals zum Bezug von IV-Leistungen an

(IV-act. 1). Gemäss einem Bericht von Dr. med. B. , Allgemeine Medizin FMH, vom

28. Februar 2003 hatte sie am 6. Mai 2002 eine Fraktur des Tuberculum majus humeri links und eine Supraspinatussehnenruptur links erlitten (IV-act. 8). Sie war bis 30. September 2002 als Betriebsmitarbeiterin für die C. GmbH angestellt gewesen, wo sie bis zum Unfall täglich 6,5 Std. (betriebsüblich 8,35 Std.) tätig gewesen war. Der Stundenlohn hatte Fr. 18.-betragen. Die IV-Stelle ermittelte nach der sogenannten gemischten Methode (Erwerbsanteil 78%) einen Invaliditätsgrad von 7%. Sie wies das Rentenbegehren am 5. Januar 2004 ab (IV-act. 19).

B.

    1. Am 13. September 2006 meldete sich die Versicherte erneut zum Bezug von IVLeistungen an (IV-act. 26). Sie gab an, ihr psychischer Gesundheitszustand habe sich seit Sommer 2005 massiv verschlechtert. Sie habe in dieser Zeit ein Einsatzprogramm des RAV absolviert. Gemäss einem Bericht der Psychiatrischen Klinik D. vom 26. Juli 2006 (IV-act. 33) war die Versicherte dort vom 21. März bis 30. Juni 2006 stationär und vom 3. bis 28. Juli 2006 teilstationär hospitalisiert gewesen. Die Ärzte hatten eine mittelgradig depressive Episode bei einem chronischen Schmerzsyndrom diagnostiziert und angegeben, spätestens im Sommer 2005 sei bei fortgesetzter Verausgabung in Beruf und Familie die Grenze der Belastbarkeit überschritten gewesen, worauf die Versicherte psychische und somatische Symptome entwickelt habe. Beim Klinikaustritt habe die Arbeitsfähigkeit in einer leichten Tätigkeit 35% betragen. Die IV-Stelle gab eine orthopädische und psychiatrische Abklärung in Auftrag. Dr. med. E. , Psychiatrie/Psychotherapie FMH, führte in seinem psychiatrischen Teilgutachten vom 28. Februar 2007 aus (IV-act. 39), die Versicherte habe angegeben, die Familienverhältnisse seien sehr harmonisch, es bestünden keinerlei Belastungen. Sie vertrage die Familienmitglieder aber nicht immer, am liebsten sei sie allein zuhause. Dr. E. gab weiter an, die als Folge des Sturzes mit Schulterverletzung notwendige Operation im Kantonsspital habe massive Ängste ausgelöst. Wegen der ständigen Schmerzen sei die Versicherte dann immer nervöser geworden, so dass sie schliesslich in der Psychiatrischen Klinik D. hospitalisiert

      worden sei. Dort habe sich ihr Zustand gebessert. Sie habe gelernt, mit den Schmerzen besser umzugehen. Während seiner Exploration habe es keine Hinweise für Störungen der mnestischen Funktionen inklusive Konzentration und Aufmerksamkeit gegeben. Im formalen Denken sei die Versicherte eher überlegend als verlangsamt gewesen. Das Denken sei insgesamt sehr geordnet und inhaltlich ohne Hinweise auf Wahn, Halluzinationen und Ich-Störungen gewesen. Im Affekt sei die Versicherte klagsam, jammerig, verunsichert und verängstigt gewesen. Der Antrieb sei leicht vermindert gewesen. Motorisch sei die Versicherte unauffällig gewesen. Der SCL-90-R-Test habe ergeben, dass die Versicherte unter einer sehr hohen psychischen Belastung leide, die deutlich über dem Durchschnitt liege. Vorhandene Belastungen würden zudem als überdurchschnittlich stark empfunden. Sämtliche Skalen hätten deutlich über dem Durchschnitt gelegen. Eine subjektive Überbewertung der Belastung sei offensichtlich gewesen. Im Beck Depression Inventar sei eine starke Belastung unter depressiven Symptomen festzustellen gewesen. Auch hier sei eine subjektive Überbewertung vorhanden gewesen. Auf der Hamilton Depression Scale (HAMD) habe die Versicherte 9 Punkte erreicht. In seiner Beurteilung kam Dr. E. gestützt auf die anamnestischen Angaben, die vorhandenen Akten und die aktuellen psychopathologischen Merkmale zum Schluss, dass eine leichte depressive Episode mit somatischen Symptomen im Rahmen einer Anpassungsstörung vorliege. Es scheine, dass sich der psychische Zustand durch die regelmässige psychotherapeutische Behandlung in der Sozialpsychiatrischen Beratungsstelle Wil deutlich gebessert habe. Die Punktzahl im HAMD deute auf eine leichte depressive Symptomatik hin. Da die Versicherte jegliche psychosoziale Belastung bestritten habe, entfielen die Kriterien für eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Die chronischen Schmerzen seien wohl auf die Muskelverspannungen infolge der Fehlhaltung der Schulter zurückzuführen. Die Arbeitsfähigkeit betrage wenigstens 80%. Dr. med. F. , Spezialarzt Orthopädische Chirurgie FMH, Sportmedizin (SGSM), berichtete in seinem Gutachten vom 1. März 2007 (IV-act. 40), er habe folgende Diagnosen erhoben: Supraspinatussehnenläsion bei St. n. nicht dislozierter Fraktur des Tuberculum majus links, Myogelose des M. trapezius und Präadipositas. Er gab weiter an, die Schmerzen in der linken Schulter und die abnormen Untersuchungsbefunde derselben könnten aufgrund des MRIBefunds zwar objektiviert werden, aber das Ausmass der Beschwerden könne nicht nachvollzogen werden. Die Versicherte sei nicht in jenem Mass in ihrer körperlichen

      Leistungsfähigkeit eingeschränkt, das sie vorgebe. Angesichts der sehr tiefen Schmerzschwelle und des bisherigen Verlaufs wären durch eine operative Revision zwar ein befriedigendes Resultat, aber postoperativ ein schlechter Verlauf zu erwarten. Die Arbeitsfähigkeit in der bisherigen Tätigkeit als Mitarbeiterin eines Versandhauses betrage 60%. Körperlich leichte Tätigkeiten, bei denen nicht regelmässig Gegenstände über 10 kg gehoben getragen werden müssten und die nicht mit häufigem Arbeiten über der Horizontalen verbunden seien, könnten zu 90% zugemutet werden. Aus psychiatrischer Sicht komme eine Arbeitsunfähigkeit von 20% hinzu. Die gemeinsame orthopädisch-psychiatrische Beurteilung habe für eine leidensadaptierte Tätigkeit eine Arbeitsfähigkeit von 80% ergeben.

    2. Dr. med. G. vom RAD hielt am 27. März 2007 fest (IV-act. 41), der Gesundheitszustand habe sich seit Sommer 2005 verschlechtert und im Februar 2006 ein behandlungsbedürftiges Ausmass mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit erreicht. Vom

17. Februar bis 28. Juli 2006 habe eine vollständige Arbeitsunfähigkeit bestanden. Die Arbeitsfähigkeit von 80% bestehe seit dem 29. Juli 2006. Der zuständige Sachbearbeiter der IV-Stelle notierte am 13. April 2007 (IV-act. 44), da die Versicherte zu 78% als Erwerbstätige zu qualifizieren sei, bestehe im Erwerb keine Einschränkung. In Bezug auf den Haushalt werde die 30%ige Einschränkung gemäss dem Vorbescheid von 2004 übernommen. Mit einem Vorbescheid vom 21. Mai 2007 kündigte die IVStelle die Abweisung des Rentenbegehrens an (IV-act. 49). Die Versicherte wandte am

15. Juni 2007 ein (IV-act. 55), sie sei mit der Einschätzung durch Dr. E. nicht einverstanden. Das gelte auch für die Qualifikation als Teilerwerbstätige. Gemäss den Angaben ihres Hausarztes leide sie an einer mittelschweren Depression. Sie habe früher immer zu 100% gearbeitet, nur im C. sei das nicht möglich gewesen. Jetzt wäre sie gezwungen, zu 100% erwerbstätig zu sein, weil ihr Ehemann seit zwei Jahren arbeitslos sei und sich bei der Invalidenversicherung angemeldet habe. Dr. med. H. , Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, und lic. phil. I. , Psychologin FSP, gaben am 7. August 2007 an (IV-act. 57), die Versicherte leide an einer mittelgradigen depressiven Episode und an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung. Dr.

E. habe sich auf eine Momentaufnahme abgestützt, ein Verlauf fehle. Bei der testpsychologischen Abklärung falle die sehr unterschiedliche Beurteilung zwischen der Selbsteinschätzung der Versicherten und der Einschätzung des Untersuchers anhand der Hamilton Depression Scale auf. Dr. E. habe die grosse Diskrepanz nicht

diskutiert, sondern die Selbsteinschätzung ohne weitere Begründung als subjektive Überbewertung der Belastung gewertet. Dem sei entgegenzuhalten, dass die beiden angewandten Tests (SCL-90-R und Depressionsinventar von Beck) als zuverlässig und valid gälten. Entgegen der Auffassung von Dr. E. seien die Familienverhältnisse nicht so harmonisch, denn der Ehemann sei seit zwei Jahren arbeitslos, was die Versicherte belaste, und die Tochter leide unter dem Zustand der Versicherten, was bei dieser Schuldgefühle auslöse. Fremdanamnestische Auskünfte, die für die Arbeitsfähigkeitsschätzung unverzichtbar seien, fehlten. Aufgrund der schweren Chronifizierung und der gedanklichen Fixierung und Einengung müsse von einer Arbeitsunfähigkeit von 100% ausgegangen werden. Mit einer Verfügung vom 15. August 2007 wies die IV-Stelle das Rentenbegehren gestützt auf einen reinen Einkommensvergleich ab (IV-act. 60). Am 7. Januar 2009 hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen eine gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde gut (IV-act. 82). Es wies die Sache zur weiteren Abklärung an die IV-Stelle zurück. Zur Begründung führte das Gericht aus, auf die Arbeitsfähigkeitsschätzung von Dr. F. könne abgestellt werden. Nicht zu überzeugen vermöge die Arbeitsfähigkeitsschätzung von Dr. E. , da dieser fälschlicherweise von einer harmonischen familiären Situation der Versicherten ausgegangen sei und da er auf fremdanamnestische Informationen verzichtet habe. Tatsächlich sei der Ehemann der Versicherten seit zwei Jahren arbeitslos und habe gesundheitliche Probleme; zudem sei auch der jüngere Sohn arbeitslos. Das Gericht verlangte eine erneute Abklärung der psychischen Beschwerden der Versicherten.

C.

    1. Am 4. August 2009 erfolgte eine Untersuchung durch Dr. med. J. , Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (D) und für Kinderund Jugendpsychiatrie (D) vom RAD. Dr. J. führte dazu auch ein längeres Gespräch mit dem Ehemann der Versicherten. Er berichtete am 10. September 2009 (IV-act. 91), bei der Prüfung der Beweglichkeit der Extremitäten habe die Versicherte überzogene Schmerzäusserungen angegeben, so dass nur eine erschwerte Beurteilung gestützt auf die Beobachtung der Bewegungsabläufe beim Ausund Ankleiden möglich gewesen sei. Bei der Prüfung der Muskeleigenreflexe an den Oberarmen sei es wieder zu völlig überzogenen Schmerzäusserungen mit massiv demonstrativ-appellativem Charakter gekommen.

      Eine vernünftige Prüfung der Sensibilität, der Koordination und der muskulären Kraftentfaltung sei nicht möglich gewesen. Gestützt auf die Beobachtung sei davon auszugehen, dass die Versicherte keine Gangund Standprobleme und keine Einschränkung der grobmotorischen Funktionen der oberen und der unteren Extremitäten aufweise und dass sie beim Ausund Ankleiden feinmotorisch koordinativ sei. Aus psychiatrischer Sicht sei das formale Denken nicht beeinträchtigt, aber inhaltlich auf die Schmerzempfindung und -verarbeitung fokussiert gewesen. Die Wahrnehmung und die Wahrnehmungsverarbeitung seien nicht psychopathologisch relevant beeinträchtigt gewesen. Die Stimmung sei rasch änderbar gewesen: Jammernde Klagsamkeit und dann wieder Reaktionen mit Freude. Es bestehe eine Affektdurchlässigkeit mit Weinen, Selbstaufgabe, Selbstbedauern und fehlender Zukunftsperspektive. Psychomotorisch habe die Versicherte erlahmt, mimisch und gestisch eher zurückgenommen, aber ausgiebig die Beschwerden verbalisierend gewirkt. Die Antriebslage sei leicht reduziert gewesen. Während des Gesprächs habe die Konzentrationsfähigkeit leicht nachgelassen und die Versicherte sei ermüdet, wobei sie zusätzlich aggraviert habe. Von der Primärpersönlichkeit her stünden psychasthenische, selbstbemitleidende und appellativ-aggravatorische Züge im Vordergrund. Hervorzuheben seien die Angaben der Versicherten über ein Morgentief in der Stimmung und im Antrieb mit einer Besserung ab den Nachmittagsstunden hin zum Abend. Dr. J. stellte folgende Diagnose: Depressive Störung, gegenwärtig leichte bis mittelgradige Episode mit somatischen Symptomen und Chronifizierungstendenz. In seiner Beurteilung führte er aus, bei den Unfallfolgen habe es sich um ein einschneidendes Ereignis gehandelt. Die Schmerzen seien zunächst auf eine bestimmte anatomische Region bezogen gewesen, aber schon sehr früh habe sich eine psychogene Schmerzausweitung abgezeichnet. Diese Ausweitung sei durch die Therapie (schmerzlindernd und schmerzakzeptierend) sowie durch das IV-Verfahren tendenziell gefördert worden. Die Psychiatrische Klinik D. habe ein chronisches Schmerzsyndrom diagnostiziert, ohne auf die entsprechenden Symptome, die psychosozialen Hintergründe und/oder eine plausible unbewusste Konfliktsituation Bezug zu nehmen. Entgegen der Auffassung von Dr. H. könne ein chronisches Schmerzsyndrom nicht einfach einer anhaltenden Schmerzstörung gleichgesetzt werden. Dr. E. habe zu Recht darauf hingewiesen, dass die Spannungen zwischen der Versicherten und der Schwiegertochter und auch die Ablösungsproblematik vom

      Sohn abgeklungen seien. Die diagnostischen Kriterien für eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung seien anlässlich der aktuellen Untersuchung nicht festzustellen gewesen. Vielmehr sei eine chronifizierte Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren in Betracht zu ziehen, die in ihren Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit anders zu bewerten sei als eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit einer komorbiden depressiven Störung. Sowohl die Versicherte als auch ihr Ehemann hätten übereinstimmend innerfamiliäre Spannungen und Konflikte verneint. Eine psychosoziale Belastungssituation als schmerzunterhaltendes Agens fehle, ebenso ein Hinweis auf eine unoder vorbewusste schwere Konfliktsituation. In Bezug auf die von Dr. H. monierten Depressionstests, die von Dr. E. durchgeführt worden seien, sei festzuhalten, dass Testverfahren im Zusammenhang mit Begutachtungsfragen höchst kritisch zu beurteilen seien, da der Proband die Intention der Fragen unschwer erkennen könne. Zur Beurteilung des Schweregrades einer Depression seien sie nur tauglich, wenn das Testergebnis und der klinische Untersuchungsbefund zueinander konsistent seien. Unbestritten sei, dass bei der Versicherten eine depressive Symptomatik und ein psychophysisches Schmerzsyndrom vorlägen. Sozial ergäben sich, die Depression betreffend, keine schwerwiegenden Einschränkungen wie etwa ein totaler sozialer Rückzug eine konkrete Suizidalität. Die Versicherte und ihr Ehemann hätten über innerfamiliäre Kontakte und über ein ausserfamiliäres Kommunikationsund Kontaktverhalten berichtet. Die Belastbarkeit der Versicherten sei auf der psychischen Ebene durch die leichtbis mittelgradige Depression (Antriebsreduzierung, zirkadiane Rhythmik mit Morgentief) unter Berücksichtigung der chronifizierten Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren eingeschränkt. Dies betreffe die Ausdauer, die Durchhaltefähigkeit und die Stimmungsschwankungen. Auf der sozialen Ebene gebe es keine leidensbestimmenden Faktoren. Die Arbeitsfähigkeit betrage aus psychiatrischer Sicht 60%.

    2. Dr. med. K. vom RAD notierte am 22. September 2009 u.a. (IV-act. 94), Dr.

J. habe nachvollziehbar beschrieben, dass das Gutachten von Dr. E. angesichts der fehlenden psychosozialen Belastungsfaktoren vollständig und schlüssig gewesen sei, so dass darauf abgestellt werden könne. Allerdings habe sich der psychische Gesundheitszustand seither leicht verschlechtert und die Funktionseinschränkungen hätten sich etwas verstärkt, so dass jetzt eine geringere Arbeitsfähigkeit bestehe. Damit

gelte: Arbeitsfähigkeit ab 29. Juli 2006 80%, ab 4. August 2009 60%. Am 13. Januar

2010 bewilligte die IV-Stelle eine Arbeitsvermittlung (IV-act. 96), die am 22. Juli 2010 wieder eingestellt wurde (IV-act. 102). Als Reaktion auf den entsprechenden Vorbescheid (IV-act. 105) verlangte die Versicherte am 21. September 2010 die Durchführung beruflicher Eingliederungsmassnahmen (IV-act. 108). Die abweisende Verfügung erging am 28. September 2010 (IV-act. 109). Mit einem Vorbescheid vom 7. Oktober 2010 (IV-act. 110) kündigte die IV-Stelle der Versicherten die Abweisung des Rentenbegehrens an. Sie begründete den vorgesehenen Entscheid damit, dass eine leichte bis mittelgradige Depression in Kombination mit einer Schmerzstörung durch eine Willensanstrengung überwunden werden könne. Aus der orthopädisch bedingten Arbeitsunfähigkeit von 10% resultiere ein Invaliditätsgrad von 6%. Dr. H. teilte dem Rechtsvertreter der Versicherten am 26. Oktober 2010 mit (IV-act. 114-5 ff.), sie habe folgende Diagnosen erhoben: Chronifizierte mittelgradige Depression und anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Sie führte weiter aus, das langjährige chronische Schmerzgeschehen mit der typischen Schmerzausbreitung in weitere Körperregionen habe zu einer willentlich nicht mehr kontrollierbaren Fixiertheit auf die Schmerzen geführt. Die gedankliche und emotionale Einengung auf das Schmerzgeschehen lasse sich nicht mehr überwinden. Die Arbeitsfähigkeit betrage maximal 20%. Der Rechtsvertreter teilte der IV-Stelle am 11. November 2010 mit, dass sich die Versicherte in einer psychiatrischen Abklärung befinde (IV-act. 114). Dr. med. L. , Fachärztin Psychiatrie und Psychotherapie FMH, gab dem Rechtsvertreter der Versicherten am 22. Dezember 2010 an (IV-act. 119-4 f.), sie habe folgende Diagnosen erhoben: Anhaltende mittelschwere dysphorisch-depressive Störung, Merkmale einer Persönlichkeit Cluster-Gruppe B, anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie Störungen im Zusammenhang mit der Menopause und dem Klimakterium. Sie führte weiter aus, der jüngere Sohn der Versicherten, der keine Berufsausbildung habe, sei schwer krank und arbeitsunfähig. Er leide an einer Leukozephalopathie unklarer Ätiologie. Auffallend sei gewesen, mit welcher Distanz und Gefühllosigkeit die Versicherte über das Schicksal ihres Sohnes berichtet habe. Die Arbeitsfähigkeit der Versicherten betrage höchstens 40%, die aber ausserhäuslich nicht erbracht werden könne. Der Rechtsvertreter der Versicherten verlangte am 23. Dezember 2010 eine Neubewertung des Invaliditätsgrades ausgehend von einem Arbeitsunfähigkeitsgrad von mehr als 60%, eventualiter die Vornahme weiterer medizinischer Abklärungen (IV-

act. 119-1). Dr. med. M. vom RAD hielt dazu am 12. April 2011 fest (IV-act. 120-3), die Einschätzung durch Dr. H. beruhe auf einer anderen Beurteilung des gleichen Gesundheitszustands und auf einer anderen Anwendung der Leiturteile. Dr. L. habe den Gesundheitszustand aus bio-psycho-sozialer Sichtweise beurteilt. Die Beurteilung müsse aber aus versicherungsmedizinischer Sicht erfolgen. Die IV-Stelle verglich ein Valideneinkommen 2008 als Betriebsmitarbeiterin (C. ) von Fr. 45'138.-mit einem anhand eines Tabellenlohns und eines Arbeitsfähigkeitsgrads von 60% ermittelten zumutbaren Invalideneinkommen von Fr. 28'437.--. Die Erwerbseinbusse von Fr. 16'701.-entsprach einem Invaliditätsgrad von 37% (IV-act. 121). Mit einem neuen Vorbescheid kündigte die IV-Stelle wieder die Abweisung des Rentenbegehrens an (IVact. 124). Die Versicherte liess am 14. Juni 2011 einwenden (IV-act. 125), es hätte ein Teilzeitund Leidensabzug berücksichtigt werden müssen. Mit einer Verfügung vom 4. Juli 2011 wies die IV-Stelle das Rentenbegehren ab (IV-act. 126).

D.

    1. Die Versicherte liess am 5. September 2011 Beschwerde erheben (act. G 1) und die Zusprache mindestens einer halben Invalidenrente rückwirkend ab 13. September 2006 beantragen; eventualiter sei erweitert medizinisch abzuklären. Zur Begründung verwies ihr Rechtsvertreter auf die Arbeitsfähigkeitsschätzungen der behandelnden Ärzte. Er machte weiter geltend, der RAD-Bericht sei keine polydisziplinäre Begutachtung, weshalb ihm kein höherer Beweiswert zukommen könne als den Berichten der Fachärzte. Der Unterschied in den Arbeitsfähigkeitsschätzungen sei nicht erklärbar. Da keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass sich die Beschwerdeführerin aus freien Stücken mit einem bescheidenen Erwerbseinkommen hätte begnügen wollen, seien das Validenund das Invalideneinkommen auf der gleichen Grundlage zu bestimmen. Zudem sei ein "Leidensabzug" von 10% vorzunehmen.

    2. Die Beschwerdegegnerin beantragte am 26. September 2011 die Abweisung der Beschwerde (act. G 6). Sie machte insbesondere geltend, die Rechtsprechung zum Beweiswert der Angaben von externen Spezialärzten könne analog auf "RADBegutachtungen" angewendet werden. Ein "RAD-Gutachten" habe somit volle Beweiskraft, solange nicht konkrete Indizien gegen seine Zuverlässigkeit sprächen. Ein

      unterdurchschnittliches Einkommen dürfe nicht auf ein durchschnittliches aufgerechnet werden.

    3. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin wandte am 7. November 2011 u.a. ein (act. G 10), Dr. L. und Dr. H. seien ausgewiesene Fachärztinnen. Sie hätten eine eindeutige, nachvollziehbare und widerspruchsfreie Diagnose gestellt. Damit habe sich der RAD nur oberflächlich und wenig überzeugend auseinandergesetzt. Die Beschwerdeführerin habe sich nicht aus freien Stücken mit einem unterdurchschnittlichen Einkommen begnügt. Das sei vielmehr auf die fehlende Ausbildung, auf die fehlenden Sprachkenntnisse und den ausländerrechtlichen Status zurückzuführen gewesen.

    4. Die Beschwerdegegnerin verzichtete am 11. November 2011 auf eine Stellungnahme zur Replik (act. G 12).

    5. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin reichte einen Austrittsbericht des Psychiatriezentrums N. vom 5. Juli 2012 ein (act. G 14.1). In diesem Bericht war festgehalten worden, die Beschwerdeführerin sei vom 16. April bis 29. Juni 2012 in der Tagesklinik behandelt worden. Die Diagnose laute: Mittelgradige depressive Störung mit somatischem Syndrom. Bei der Behandlung sei schnell deutlich geworden, dass sich die Beschwerdeführerin schuldig fühle am Schicksal ihres jüngeren Sohns: Wenn sie früher mehr für ihn da gewesen wäre, hätte sie ihm die Suchtproblematik ersparen können. Die Schuldthematik sei oft das Thema der Einzeltherapie gewesen.

Erwägungen: 1.

Die erste Abweisungsverfügung vom 5. Januar 2004 beruhte auf einem nach der gemischten Methode ermittelten Invaliditätsgrad. Die Beschwerdegegnerin war davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin zu 78% erwerbstätig wäre und zu 22% den Haushalt besorgen würde, wenn sie gesund wäre. Der nächsten Abweisungsverfügung vom 14. August 2007 lag dann ein durch einen reinen Einkommensvergleich ermittelter Invaliditätsgrad zugrunde. Die Beschwerdegegnerin hatte die Beschwerdeführerin neu als vollerwerbstätig qualifiziert, da diese angegeben

hatte, sie wäre aus finanziellen Gründen (Ehemann arbeitslos) im fiktiven "Gesundheitsfall" zu 100% erwerbstätig; die Beschwerdeführerin habe bei der C. GmbH nur deshalb mit einem Beschäftigungsgrad von 80% gearbeitet, weil die Arbeitgeberin keine vollzeitliche Beschäftigung angeboten habe. Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hat sich nicht explizit zur Qualifikation der Beschwerdeführerin geäussert. Es hat nur in seinen allgemeinen Ausführungen zu den rechtlichen Grundlagen der Rentenberechtigung formelhaft auf Art. 16 ATSG (und nicht auf Art. 28a Abs. 3 IVG) verwiesen. Darin kann keine verbindliche Entscheidung über die anwendbare Methode der Invaliditätsbemessung erblickt werden. Die Beschwerdegegnerin hat deshalb die Kompetenz, aber auch die Pflicht gehabt, diese Frage erneut zu beantworten. Sie hat die Beschwerdeführerin erneut als vollerwerbstätig qualifiziert. Die angefochtene Abweisungsverfügung beruht deshalb auf einem reinen Einkommensvergleich. In diesem Punkt erweist sie sich als rechtmässig, denn die Beschwerdeführerin wäre im fiktiven "Gesundheitsfall" mit grosser Plausibilität zu 100% erwerbstätig gewesen. Das Ehepaar A. hat nämlich aufgrund der Arbeitslosigkeit des Ehemanns finanzielle Probleme und damit einen Bedarf nach einem vollen Lohn der Beschwerdeführerin als Hilfsarbeiterin und diese wäre im fiktiven "Gesundheitsfall" durch nichts daran gehindert, vollzeitlich einer ausserhäuslichen Erwerbstätigkeit nachzugehen.

2.

Anspruch auf eine Invalidenrente haben Versicherte, die ihre Erwerbsfähigkeit nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder herstellen, erhalten verbessern können (Art. 28 Abs. 1 lit. a IVG), die während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40% arbeitsunfähig gewesen sind (Art. 28

Abs. 1 lit. b IVG) und die nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40% invalid sind (Art. 28 Abs. 1 lit. c IVG), denn ein Rentenanspruch besteht erst ab diesem Invaliditätsgrad (Art. 28 Abs. 2 IVG).

2.1 Gemäss Art. 6 Satz 1 ATSG ist die Arbeitsunfähigkeit die durch eine Gesundheitsbeeinträchtigung bedingte volle teilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf zumutbare Arbeit zu leisten. Dr. F. hat in seinem Gutachten vom 1. März 2007

angegeben, die Beschwerdeführerin sei allein schon aufgrund der somatischen Beeinträchtigung (Supraspinatussehnenläsion bei Status nach nicht dislozierter Fraktur des Tuberculum majus links) an ihrem letzten Arbeitsplatz bei der C. GmbH zu 40% arbeitsunfähig. Da sich seit dem Unfall am 6. Mai 2002 keine massgebende Veränderung des somatischen Zustandes eingestellt hatte, ist davon auszugehen, dass die Arbeitsfähigkeitsschätzung von Dr. F. nicht nur für den Zeitpunkt der Begutachtung, sondern bereits für die Zeit ab 6. Mai 2002 gültig ist. Schon im ersten Urteil des Versicherungsgerichts vom 7. Januar 2009 wurde denn auch festgehalten, dass auf diese Arbeitsfähigkeitsschätzung abgestellt werden kann (vgl. IV 2007/343, E. 3.2).

2.2

2.2.1 Die Psychiatrische Klinik D. hat in ihrem Austrittsbericht vom 26. Juli 2006 angegeben, die Beschwerdeführerin sei bei einem chronischen Schmerzsyndrom und depressiver Symptomatik zur stationären Behandlung zugewiesen worden. Sie hat die depressive Episode als mittelgradig taxiert und eine Arbeitsunfähigkeit bei Klinikaustritt von 65% angegeben (vgl. IV-act. 27 und 33). Dr. E. hat angenommen, dass die stationäre Behandlung in der Psychiatrischen Klinik und die anschliessende psychotherapeutische Behandlung in der Sozialpsychiatrischen Beratungsstelle zu einer Verbesserung geführt hätten. Er hat nämlich nur noch eine leichte depressive Episode mit somatischem Syndrom im Rahmen einer Anpassungsstörung angenommen. Er hat diese Diagnose damit begründet, dass die Beschwerdeführerin jegliche psychosoziale Belastung bestritten habe und dass die in der psychiatrischen Klinik festgestellte Ablösungsproblematik vom älteren Sohn nicht mehr im Vordergrund gestanden habe (IV-act. 39-6). Dr. H. hat am 7. August 2007 eine vollständige Arbeitsunfähigkeit angegeben und diese mit einer mittelgradigen depressiven Episode und einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung begründet. Sie hat darauf hingewiesen, dass entgegen der Feststellung von Dr. E. durchaus eine psychosoziale Belastungssituation vorliege. Die Beschwerdeführerin betrachte sich nämlich als auf die Hilfe der Schwiegertochter angewiesen, aber es komme immer wieder zu Spannungen, weil sie mit der Arbeitseinstellung der Schwiegertochter nicht einverstanden sei und weil die Schwiegertochter an den Schmerzen zweifle. Zudem sei der Ehemann arbeitslos und er leide unter dieser Situation, was wiederum die

Beschwerdeführerin belaste. Hinzu kämen Schuldgefühle der Beschwerdeführerin gegenüber der Tochter (IV-act. 57). Dr. J. gegenüber haben die Beschwerdeführerin und der Ehemann innerfamiliäre Spannungen und Konflikte explizit verneint. Aufgrund seiner Anamneseerhebung ist Dr. J. davon ausgegangen, dass weder eine psychosoziale Belastungssituation noch eine unoder vorbewusste schwere Konfliktsituation als schmerzunterhaltenes Agens vorlägen. Aus diesem Grund hat er ausdrücklich wie schon Dr. E. eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung verneint, denn diese setze voraus, dass der entscheidende ursächliche Faktor des Schmerzes in einem emotionalen Konflikt in psychosozialen Belastungen bestehe (IV-act. 91-12f.). Für das Gericht besteht kein Anlass, von dieser medizinischen Einschätzung von Dr. J. abzuweichen, auch wenn Dr. L. am 22. Dezember 2010 erneut die Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (neben einer mittelgradigen depressiven Störung) gestellt hat. Dr. L. hat auf erhebliche innerfamiliäre Spannungen verwiesen, ohne sich zur Art dieser innerfamiliären Spannungen zu äussern. Immerhin soll sich der Konflikt mit der Schwiegertochter durch deren Umzug inzwischen entspannt haben (vgl. IV-act. 119-5). In ihrer Stellungnahme fehlt insbesondere eine Auseinandersetzung mit dem ausführlichen Arztbericht von Dr. J. . Mit Dr. J. ist somit nicht von einer somatoformen Schmerzstörung, sondern von einem chronischen Ganzkörperschmerzsyndrom auszugehen, wobei es sich hierbei um eine Diagnose ohne Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit handelt.

2.2.2 Als Diagnose mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit hat Dr. J. eine depressive Störung, gegenwärtig leichte bis mittelgradige Episode mit somatischem Symptomen und Chronifizierungstendenz (ICD F32.11) festgestellt. Die Einschränkung betreffe die Ausdauer und die Durchhaltefähigkeit sowie die Stimmungsschwankungen. Der Beschwerdeführerin sei aufgrund dieser Einschränkungen aus psychiatrischer Sicht nur noch eine 60% Tätigkeit zumutbar bei zeitlicher Präsenz von fünf Stunden täglich bei voller Leistung, also ohne Leistungseinschränkung. Demgegenüber gingen Dr. H. und Dr. L. von einer sehr viel tieferen Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin aus. Eine hohe sogar vollständige Arbeitsunfähigkeit würde allerdings voraussetzen, dass die Beschwerdeführerin in ihrem Antrieb, in ihrer Konzentrationsfähigkeit, in ihrer Ausdauer und ihrem Durchhaltevermögen usw. massiv eingeschränkt wäre. Ihr konkretes Verhalten zuhause bildet keinen verlässlichen

Massstab, denn dank der Hilfe der Familienangehörigen kann die Beschwerdeführerin ihr Krankheitsund Arbeitsunfähigkeitsgefühl ausleben im Wissen darum, dass das Alltagsleben doch irgendwie funktionieren wird. Stellt die Psychiaterin, wie es im Therapieverhältnis üblich ist, weitgehend auf die Selbstdarstellung einer Patientin ab, dann wird nicht dem objektiven Ausmass der Einschränkung im Antrieb, in der Konzentrationsfähigkeit, in der Ausdauer und dem Durchhaltevermögen usw. Rechnung getragen, denn erfahrungsgemäss wird die Einschränkung - unbewusst erheblich überschätzt. Bei einem Abstellen auf die konkrete Situation und/oder die Selbstangaben der Patientin fällt die Arbeitsfähigkeitsschätzung also regelmässig zu pessimistisch aus. Deshalb erweisen sich die Arbeitsfähigkeitsschätzungen behandelnder Psychiater oft als nicht überzeugend. Sie sind nur dann als überwiegend wahrscheinlich richtig zu qualifizieren, wenn nachweislich ein objektiver Massstab zur Anwendung gelangt ist. Dabei genügt es nicht, darauf zu verweisen, dass eine mittelgradige Depression den Willen so weit lähme, dass praktisch keine Erwerbstätigkeit mehr möglich sei. Das bedeutet, dass die Arbeitsfähigkeitsschätzungen von Dr. H. und Dr. L. nicht als überwiegend wahrscheinlich richtig betrachtet werden können. Auch wenn es sich bei Dr. L. nicht um eine behandelnde Therapeutin handelt, lagen ihrer Arbeitsfähigkeitsschätzung offensichtlich nicht die gesamten Vorakten zugrunde, insbesondere fehlt in ihrer als "Zweitbeurteilung" bezeichneten

Stellungnahme eine Auseinandersetzung mit dem Gutachten von Dr. E. und dem ausführlichen Untersuchungsbericht von Dr. J. . Dr. J. hat sich als erfahrener Arbeitsmediziner nicht in einem therapeutischen, sondern ausschliesslich in einem beurteilenden Kontext mit dem Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin befasst. Das einzige Ziel seiner Exploration ist die Ermittlung der objektiv noch vorhandenen Arbeitsfähigkeit gewesen. Die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit durch Dr. J. ist für das Gericht überzeugend, darauf ist spätestens ab dem Tag der Untersuchung (4. August 2009) abzustellen. Indizien, dafür, dass sich der Gesundheitszustand bis zum Erlass der angefochtenen Verfügung am 4. Juli 2011 verändert hätte, sind nicht vorhanden. Für die Ermittlung des Invaliditätsgrades bis zum Tag des Verfügungserlasses ist somit von einem Arbeitsfähigkeitsgrad von 60% auszugehen, wobei die Arbeitsunfähigkeit von 40% sowohl somatisch (vgl. Gutachten F. ) als auch psychiatrisch (Untersuchungsbericht Dr. J. ) begründet ist.

    1. Die für den Rentenanspruch massgebende Invalidität ist gemäss Art. 16 ATSG durch einen Einkommensvergleich zu ermitteln, bei dem das Einkommen, das die ver sicherte Person durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte (Invalideneinkommen), in Beziehung gesetzt wird zum Erwerbs einkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre (Valideneinkommen). Die Beschwerdegegnerin hat das Valideneinkommen anhand eines im Jahr 2008 bei der C. GmbH bei einem Beschäftigungsgrad von 100% erzielbaren Lohns bemessen. Tatsächlich ist das Arbeitsverhältnis mit der C. GmbH aber bereits im Jahr 2002 aufgelöst worden. Diese hypothetische "Validenkarriere" ist nicht plausibel, denn wenn die C. GmbH bis 2002 keinen Beschäftigungsgrad von 100% akzeptiert hat, dann ist es wenig wahrscheinlich, dass sie später dazu eingewilligt hätte. Die Beschwerdeführerin wäre aber aufgrund der finanziellen Probleme bereits im Jahr 2006, jedenfalls jedoch im Jahr 2009 (vgl. Steuerveranlagung 2009 in act. G 7.1) als Folge der Arbeitslosigkeit des Ehemanns darauf angewiesen gewesen, ihre Arbeitskraft vollumfänglich verwerten zu können. Im Übrigen ist die Entwicklung des Geschäftsgangs der C. GmbH nicht bekannt. Es ist durchaus möglich, dass die Beschwerdeführerin ihre Arbeitsstelle aus wirtschaftlichen Gründen verloren hätte. All das spricht gegen die Hypothese, dass die Beschwerdeführerin auch im Jahr 2008 noch für die C. GmbH tätig gewesen wäre und dass sie bis dahin ihren Beschäftigungsgrad auf 100% hätte erhöhen können. Die deutlich plausiblere hypothetische "Validenkarriere" besteht darin, dass die Beschwerdeführerin im Jahr 2008 eine andere (Vollzeit-) Stelle innegehabt und einen durchschnittlichen Hilfsarbeiterinnenlohn erzielt hätte. Ihr Valideneinkommen bemisst sich deshalb nach dem statistischen Lohn einer Hilfsarbeiterin. Da auch das zumutbare Invalideneinkommen auf diesem Durchschnittslohn beruht, kann der Einkommensvergleich auf einem Prozentvergleich beschränkt bleiben. Dabei ist von einem Arbeitsfähigkeitsgrad von 60% auszugehen. Ausserdem ist ein Tabellenlohnabzug zu berücksichtigen, da die Beschwerdeführerin für einen potentiellen Arbeitgeber verschiedene Nachteile gegenüber einer gesunden Hilfsarbeiterin aufweisen würde. Diese Nachteile (Gefahr überdurchschnittlicher Krankheitsabsenzen, Unfähigkeit zur Leistung von Überstunden, fehlende Flexibilität in Bezug auf den Arbeitsplatz, Bedarf nach besonderer Rücksichtnahme, nur noch leichte Tätigkeit möglich) stellen betriebswirtschaftlich betrachtet zusätzliche Lohnkosten dar,

      die bei gesunden Hilfsarbeiterinnen nicht anfallen. Deshalb müsste die Beschwerdeführerin ihre Arbeitskraft zu einem unterdurchschnittlichen Lohn anbieten, um dieselbe Chance auf einen Arbeitsplatz zu haben wie eine gesunde Hilfsarbeiterin. Diese Lohnnachteile sind allerdings nicht genau bezifferbar. Deshalb wird praxisgemäss ein pauschaler Abzug vom Tabellenlohn vorgenommen. Im vorliegenden Fall erscheint ein Abzug von 10% angemessen. Damit resultiert eine Erwerbseinbusse von 46%, was einen Anspruch auf eine Viertelrente begründet. Berufliche Eingliederungsmassnahmen im Sinne einer Umschulung sind bei der Beschwerdeführerin angesichts ihrer ungenügenden Deutschkenntnisse sowie ihres für eine Berufsbildung ungenügenden schulischen Wissens nicht angezeigt.

    2. Was den Beginn der psychiatrisch begründeten Arbeitsunfähigkeit von 40% anbelangt, ist die Aktenlage nicht eindeutig: Zwar steht eine Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin spätestens am 17. Februar 2006 (Indikationsgespräch für stationäre Behandlung in der Psychiatrischen Klinik

D. ) und während des Klinikaufenthaltes vom 21. März bis 28. Juli 2006 fest (vgl. Stellungnahme RAD-Ärztin Dr. G. vom 27. März 2007, wonach für diese Zeit von einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit auszugehen ist, IV-act. 41). Für die Zeit nach dem Klinikaustritt hat Dr. J. in seinem Untersuchungsbericht ausgeführt, die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit durch Dr. O. mit 30 bis 50 % liege wie auch die durch Dr. E. mit 50% im etwa gleichen Rahmen wie gutachtenaktuell von 60% (vgl. IV-act. 91-14). Er ist somit offenbar von einem seit dem Austritt aus der Klinik mehrheitlich konstanten Gesundheitszustand ausgegangen. Zwar hat RAD-Arzt Dr.

K. zu Recht festgehalten, dass die verwendeten Prozentzahlen unzutreffend seien (IV-act. 94-1). Richtigerweise hat nämlich Dr. O. eine Arbeitsfähigkeit von 50 bis 70% bestätigt (was der inhaltlichen Aussage von Dr. J. entsprechen würde, vgl. IVact. 78), und Dr. E. eine solche von 80% (vgl. IV-act. 39-6). Die Schlussfolgerung von Dr. K. , wonach folglich erst ab dem Untersuchungsdatum bei Dr. J. von einer Arbeitsunfähigkeit von 40% ausgegangen werden könne und bis zu diesem Zeitpunkt auf die Arbeitsfähigkeitsschätzung von Dr. E. abgestellt werden solle, erscheint demgegenüber nicht plausibel, denn eine erst im Zeitpunkt der Untersuchung von Dr. J. eingetretene Verschlechterung des Gesundheitszustandes ergibt sich aus seinem Untersuchungsbericht gerade nicht. Vielmehr wird in sämtlichen echtzeitlichen Arztzeugnissen konstant eine mittelgradige depressive Episode bzw. Depression

bestätigt und einzig Dr. E. ist von einer nur leichten depressiven Episode ausgegangen. Es bleibt damit unverständlich, wieso hier die Beschwerdegegnerin auf eine Rücksprache mit Dr. J. verzichtet hat. Die Beschwerdegegnerin wird daher zum Rentenbeginn, insbesondere zum Eintritt der psychiatrischen Arbeitsunfähigkeit von 40% noch weitere Abklärungen zu tätigen haben und je nach Ergebnis dieser Abklärungen den Rentenbeginn festzusetzen haben.

3.

Zusammenfassend ist die Beschwerde dahingehend gutzuheissen, dass die angefochtene Verfügung aufzuheben und der Beschwerdeführerin eine Viertelsrente zuzusprechen ist. Die Sache ist zur Abklärung und Festsetzung von Rentenbeginn und Rentenhöhe an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen.

4.

    1. Das Beschwerdeverfahren ist kostenpflichtig. Die Kosten werden nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von Fr. 200.-bis Fr. 1'000.-festgelegt (Art. 69 Abs. 1bis IVG). Eine Gerichtsgebühr von Fr. 600.-erscheint in der vorliegend zu beurteilenden Angelegenheit als angemessen. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind sie vollumfänglich der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (vgl. betreffend Überklagung das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 19. Dezember 2011, IV 2009/459, E. 5.2 f.).

    2. Die Beschwerdeführerin hat sodann Anspruch auf eine Parteientschädigung. Die Parteientschädigung wird vom Versicherungsgericht festgesetzt und ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und nach der Schwierigkeit des Prozesses bemessen (Art. 61 lit. g ATSG). Im hier zu beurteilenden Fall erscheint mit Blick auf vergleichbare Fälle eine Parteientschädigung von pauschal Fr. 3'500.-- (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer) als angemessen. Die Festlegung einer Entschädigung aus unentgeltlicher Rechtsverbeiständung erübrigt sich bei diesem Prozessausgang.

Demgemäss hat das Versicherungsgericht im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP entschieden:

  1. Die Beschwerde wird dahingehend gutgeheissen, dass die Verfügung vom 4. Juli 2011 aufgehoben und der Beschwerdeführerin eine Viertelsrente zugesprochen wird.

  2. Die Sache wird zur weiteren Abklärung und Festsetzung von Rentenbeginn und Rentenhöhe an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen.

  3. Die Beschwerdegegnerin hat eine Gerichtsgebühr von Fr. 600.-zu bezahlen.

  4. Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von Fr. 3'500.-- (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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